2020: Javkhlan Ariunbold

 

Für das Jahr 2020 haben Javkhlan Ariunbold und Jörg Kratz als Künstlerduo das Stipendium erhalten. Sie haben 6 Monate in Soest gelebt und gearbeitet. Mehrfach haben sie in dieser Zeit Gäste eingeladen und ihre künstlerische Arbeit vorgestellt. Im November 2020 übergaben sie ein Fingelabyrinth als Geschenk an die Stadt Soest und im Jahr 2023 haben sie mit der Ausstellung „The moon sleeps sailing“ und dem zugehörigen Katalog ihr Stipendium abgeschlossen.

Juroren waren Prof. Michael van Ofen, Andreas Rosenthal und Dr. Jochen Venus.
Begründet haben dies die Juroren wie folgt: „Das Paar arbeitet mit vielfältigen Ausdrucksmitteln. Zum Teil entstehen dabei auch Gemeinschaftsarbeiten. Die sich ergänzende hohe Qualität von Malerei und Radierung, die als Wand- und Bodenmalerei auch bis in den Raum übergreift, ist höchst ungewöhnlich und provoziert, sich mit den Raumkategorien auseinanderzusetzen. Sie vermitteln dabei große Ernsthaftigkeit und eine hohe formale Geschlossenheit.“

www.javkhlan-ariunbold.com
www.joerg-kratz.de

 

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Am 1. August 2020 sind Javkhlan Ariunbold und Jörg Kratz für 4 Monate in das Künstlerhaus im Paulipark eingezogen. Neben ihrer individuellen künstlerischen Arbeit hatten sie zahlreiche Kontakte zu Soester Bürgern und Bürgerinnen. Im September haben sie zu einem Werkgespräch, im November zu einer Gruppenausstellung ins Künstlerhaus eingeladen.

Zum Ende ihres Aufenthaltes in Soest haben die beiden Wilhelm-Morgner-Stipendiaten Javkhlan Ariunbold und Jörg Kratz zu der Ausstellung MANSION im Künstlerhaus im Paulipark eingeladen. Gezeigt wurde eine Auswahl der in Soest entstandenen Arbeiten, die um Werke von vier Künstlerkolleginnen und Kollegen aus London und Münster ergänzt wird.

Künstlerische Arbeiten zeigten: Matthias Anders, Javkhlan Ariunbold, Dominique Bradbury, Benjamín Edwards, Jörg Kratz, Hui Chen Yun

Die Vorbereitungen der Ausstellung wurden gefördert von der Ingrid Kipper-Stiftung und vom Kulturparlament Soest.e.V.

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5.9.2020, ab 17.00 Uhr – Werkgespräch mit den Wilhelm-Morgner-Stipendiaten im Künstlerhaus Paulistraße 7a

Das Duo gibt Einblick in den Werkprozess, stellt aktuelle Projekte vor und berichtet von der künstlerischen Wegfindung und den jeweiligen Anfängen in der Mongolei und im Rheinland. Fragen und Anmerkungen aus dem Publikum bereichern den Nachmittag.

DSC 5361 1024x683Vortrag im Künstlerhaus, Foto Liedmann

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Am 22. Juli 2021 haben die Wilhelm-Morgner-Stipendiatin Javkhlan Ariunbold und der Stipendiat Jörg Kratz die Arbeit ‚Ein Labyrinth von Javkhlan Ariunbold und Jörg Kratz‘, die sie der Stadt Soest überlassen, der Öffentlichkeit vorgestellt. Es ist ein in die Mauer des Pauliparks eingelassenes Fingerlabyrinth.

Labyrinth5 1536x1024Labyrinth3 scaled e1627410595189 1536x974Labyrinth 6 1536x1024Fotos: Pape, Ariunbold

Javkhlan Ariunbold und Jörg Kratz haben hierzu im Ausschuss für Kultur erläutert: „Im Rahmen des Wilhelm-Morgner-Stipendiums 2020 würden wir gerne ein ortsbezogenes Kunstwerk für die Stadt Soest anfertigen, das sowohl unsere Erfahrungen während des viermonatigen Aufenthaltes im Künstlerhaus reflektiert, als auch einen lokalen Bezug herstellt. … Ausgehend von der Erfahrung der mittelalterlichen Wege- und Straßenführung in Soest entstand die Idee, für den Paulipark ein Fingerlabyrinth zu entwerfen.“

In einer Feierrunde im Park haben die Künstler ihre Gedanken zum Werk erläutert und sich bei der Stadt Soest und den Stadtwerken Soest für die finanzielle Unterstützung bedankt. Für die Stadt sprach Frau Christiane Mackensen als stellvertretende Bürgermeisterin Anerkennung und Dank aus.

Gefertigt wurde die 108×108 cm große Grünsandsteinplatte von der Firma G.Schulte, Büecke.

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3. September – 12. November 2023

Museum Wilhelm Morgner, Soest

‚The moon sleeps sailing‘
Ausstellung der Stipendiaten 2020 | Jörg Kratz + Javkhlan Ariunbold
Eröffnung: 3. September | 11 Uhr
Kulturparlament Soest e. V. in Kooperation mit der Stadt Soest

Foto Wald 1024x578Filmstill "The moon sleeps sailing"

                                                                                                                                                                                                   

  8. Oktober 2023 - Katalogvorstellung mit Werkgespräch in der Ausstellung

Foto Katalogvorstellung 1Nicola E. Petek (rechts) ist eine in Berlin ansässige Kuratorin und Autorin. Sie gehört dem Kuratorium von HAUNT Berlin an und ist Mitglied im Frontviews Kollektiv.KatalogKatalog THE MOON SLEEPS SAILING

 

Im Gespräch zwischen Nicola E. Petek, Javkhlan Ariunbold und Jörg Kratz wird der Katalog zur Ausstellung vorgestellt

 

 

Zur Ausstellung schreibt die Museumsleiterin Frau Dr. Annette Werntze:

„Javkhlan Ariunbold & Jörg Kratz

The moon sleeps sailing – 3.September 2023 Museum Wilhelm Morgner Soest

Es beginnt mit dem Titel der Ausstellung – the moon sleeps sailing – welche Assoziation, welche Erwartung weckt dieser aus vier Wörtern bestehende Satz – welche Aussage und Intention verbirgt sich dahinter?

In ihrer das Wilhelm-Morgner-Stipendium in Soest abschließenden Ausstellung widmet sich das Künstler-Duo Javkhlan Ariunbold & Jörg Kratz dem Thema Landschaft. Dabei bedienen sie sich zwei unterschiedlicher, ja scheinbar gegensätzlicher Medien; der Malerei und dem Film. In beiden hinterfragen sie die Wahrnehmung von Licht und Raum. Sie spielen mit dem Zusammentreffen von Hell und Dunkel, lassen die Grenzen zwischen Realität und Abstraktion verschwimmen und bilden scheinbar neue architektonische wie imaginäre Räume.

Sie als Besucherinnen und Besucher betreten ein dunkles Interieur, in dem Fenstern gleich sich Ausblicke auf die Natur, in die Landschaft hinein öffnen. Hier bleibt es nicht bei einer zweiten, vordergründigen Ebene, vielmehr und je länger man sich in das Dargestellte verliert, ziehen sowohl die Gemälde als auch die wie ein Standbild wirkenden bewegten Bilder die Betrachtenden in ihre Tiefe hinein. Spannung erzeugen die Tageslichtübergänge, die so farbstarke, flimmernde „blaue Stunde“, die die sensuelle Wahrnehmung verstärkt.

Seit ewigen Zeiten ist es die Landschaft, die auf Malerinnen und Maler eine ganz besondere Anziehungskraft ausübte und auch heute noch oder heute wieder ausübt. Die Landschaft als Rückzugsort, als Arkadien der eigenen Sehnsucht, unberührt, idealisiert, als Verbindung zwischen Mensch und Horizont. Landschaftsbilder als Ausblick auf Welt mit der Entwicklung der Zentralperspektive im Wechsel zwischen der religiösen Darstellung des goldenen Hintergrundes hin zu den Anfängen der Renaissance. Landschaft aber natürlich auch als Ort, dem Sorge und Fürsorge zuteilwerden muss, Besorgnis auslösend, bedrohlich und bedroht als Schauplatz zerstörerischer Mächte.

Auch für Javkhlan Ariunbold & Jörg Kratz ist die Landschaft, das Naturerleben von besonderer Bedeutung. Ein Schutzraum, ein Ort der Entdeckungen und Entfaltungsmöglichkeiten von Licht und Schatten, Atmosphäre. Gemeinsam und auch einzeln entwickelten sie vier Filme, die sie in der Ausstellung zeigen. In allen Filmen geht es nicht um ein narratives Konstrukt, sondern um die Abfolge von Einzelbildern zum Teil von Musik begleitet.

In the green green begibt sich das Duo in den Wald südlich des Möhnesees, taucht tief ein in das Blätterwerk, das in seiner Vielschichtigkeit tiefer liegende, begehbare Bereiche entstehen lässt. Das abnehmende Licht der Abendstunde wandelt die Stimmung. Vom Wind destruierte Bäume, von Moosen bedeckt, ertastet das Auge der Kamera. Der Betrachter tritt ein und durchwandert das Grün und ohne den Boden zu entdecken, dringt der Klang des laufenden Schrittes an das Ohr.

Von ihrem Standort aus verharrend lenkt die Künstlerin in dem zweiten Film den Blick in die scheinbar nicht enden wollende Weite der Wüste Gobi, die im Licht des aufgehenden Vollmonds die Horizontlinie in der Dunkelheit kaum erahnen lässt. Allein der Lichtschein der wenigen in weiter Ferne den Weg von links nach rechts kreuzenden Autos bewegen das Bild. The moon sleeps sailing. Keine Landmarke gibt Orientierung, die Autos weisen sich durch Lichtsignale gegenseitig den Weg.

Dieser Film wechselt an selben Betrachterstandort mit dem Ihnen bereits auf der Einladungskarte begegneten Nebelwald. In der Größe der Darstellung, die Raumhöhe fast einnehmend, wird das Bild zum scheinbar realen Fenster.

Im Kabinett zeigt der vierte Film eine Kamerafahrt durch einen Wald im Bergischen Land. Die Wahrnehmung ist jetzt eine völlig andere. Wenn auch in der Bewegung langsam und immer wieder verharrend, nähert sich ein großer Nandu den beiden Künstlern mit der Kamera. Der zu hörende Ton zeichnet die Umgebungsgeräusche; ein eigener Schau- und Akustikraum – abgetrennt vom Umgang – entsteht.

Ein nicht unwichtiger Hinweis: Vor allen Filmen findet sich die Möglichkeit Platz zu nehmen, sich dem Eindruck der unterschiedlichen Landschaftsaufnahmen hinzugeben, einzutauchen.

Die Dramaturgie der Präsentation der Gemälde folgt dem dunklen Interieur. Der Eindruck der Öffnung in eine andere Welt, der Blick in neue Räume, durch ein Fenster, findet sich auch hier. Und wenn wir uns an Hans Kaiser erinnern, dann spricht auch er davon, dass seine Bilder Fenster sein sollen in eine andere Welt.

In ihren Gemälden zeigen die Künstlerin und der Künstler eine von ihrer unterschiedlichen Herkunft beeinflusste Bildsprache, die fasziniert, atmosphärisch dicht ist und gleichermaßen von großer Harmonie und Ästhetik zeugt. Ihnen geht es um den Dialog zwischen zwei Kulturräumen, dem westeuropäischen Bildverständnis und der asiatisch ornamentalen Bildsprache.

Javkhlan Ariunbold ist in Ulaanbaatar in der Mongolei geboren. Schon frühzeitig haben ihre Eltern ihre künstlerische Begabung gefördert, so dass sie nach dem Abitur an der Kunsthochschule für Bildende Künste Ulaanbaatar das Studium der klassischen Kunst-Ausbildung aufnahm. Ihr Wunsch war es nach dessen Beendigung auch im Ausland Kunst zu studieren, so dass sie 2011 an die Kunstakademie Münster, Hochschule für Bildende Künste kam.

Die ornamentale Bildsprache der Mongolei findet sich in langen Bilderrollen oder zumeist auf hölzernen Möbeln und Gegenständen des alltäglichen Lebens. Sie folgt der praktischen Gegebenheit, bei der Notwendigkeit eines seit Jahrhunderten zum Teil auch heute noch gelebten Nomadentums den Wohnort häufiger zu wechseln, die Bildwerke gut transportieren zu können. Die Darstellungen verbleiben in der malerischen Ebene flächig und farbintensiv.

Das im Kabinett präsentierte Gemälde Arslan zeigt einen Löwenkopf. Javkhlan Ariunbold hat ihn als Reminiszenz an das Leben und die Traditionen ihres Heimatlandes geschaffen. Traditionell verankert erfährt die Landschaft in der Mongolei eine andere Beseelung als in Europa, doch steht der Löwe in beiden Kulturen für Kraft und Stärke und verfügt über einen apotropäischen Schutz.

Im Gegensatz zu diesem kleinformatigen Werk, zeigt Javkhlan Ariunbold zwei weitere, nun großformatige Bilder. Fast impressionistisch in der hell erstrahlenden Farbgebung thematisiert sie in starker Abstraktion die Uferlandschaft eines Flusses mit Bäumen.

Das zweite Bild zeigt eine ihr traditionelle Herangehensweise der Unmittelbarkeit. In einem Farbton verbleibend arbeitet Javkhlan sehr spontan, intuitiv und mit sicherem Pinselstrich. Es ist ein expliziter Duktus, der vordergründig flächig erscheint, dann aber Übergänge und ein Durchdringen von lasierender Farbe, den sich öffnenden Raum, die Formulierung von Vorder- und Hintergrund erlebbar macht. Sie entwickelt ein komplexes Gefühl für Raum und Farbe, für Raum durch Setzung von Farbe, für atmosphärische Zwischenräume.

Die Darstellung des Baumes ist in beiden Kulturen präsent; im christlichen Kontext findet sie sich als Baum des Lebens und wird in Gemälden und Zeichnungen wie anderen Bildwerken thematisiert. Im ostasiatischen Lebensraum ist der Baum der Hinweis auf kosmische Welten, die Säule, die den Himmel trägt.

Jörg Kratz wählt für seine Gemälde das kleine Format und die Leinwand, auch wenn diese dann auf Holz aufgezogen wird. Als Maler lenkt er den Blick der Betrachtenden in das Bild hinein, um direkt auf die Landschaft dahinter zu verweisen; das Bild wird zum eigentlichen Fenster, eine Rahmung ist bewusst vermieden. So folgt er der westlichen Malereitradition, den Blick in eine andere Welt zu gestatten. Die von ihm geschaffene nächtliche Situation mit diffusem Licht, die Konturen mit einem zarten Sfumato umhüllt, die Dunkelheit scheint undurchdringlich. Kleine Aufhellungen, nebelige Farbnuancen, räumliche Tiefe wird greifbar, Baumstrukturen erkennbar. Doch beim näheren Herantreten kippt die zuvor erfahrene Illusion, die erahnte Struktur zerfällt in Farbe, in Farbnuancen, in atmosphärische Zwischenräume und scheinbar unendliche Tiefen.

Jörg Kratz ist im Rheinland in Haan geborgen. Zur gleichen Zeit wie Javkhlan Ariunbold begann er 2011 das Studium der Freien Kunst an der Kunstakademie Münster, Hochschule für Bildende Künste. Zuvor studierte er Geschichte und Philosophie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. In Soest begrüßen konnten wir ihn bereits 2016 als er als einer der zehn Finalisten des Wilhelm-Morgner-Preises nominiert worden war. Bereits hier war das Thema Licht und Schatten – noch nicht draußen in der Natur, sondern im Innenraum mit angedeuteten Fenstern, die als natürliche Lichtquelle den Lichteinfall auf die Innenarchitektur in strenger Abbildung der Fensterbegrenzungen formulierten.

Konkret wird Jörg Kratz bei seinen Skulpturen. Während eines Stipendiums in Paris besuchte er immer wieder das naturkundliche Museum und war fasziniert von den Tierskeletten, vornehmlich jenen der Schildkröten. Entsprechend des Aufbaus aller Wirbeltiere bildet auch bei den Schildkröten die Wirbelsäule mit den Rippen die Konstruktion der Rückwand, in diesem Fall als sensiblen Panzer. Entscheidend für Jörg Kratz ist der dadurch entstandene fragile Raum. Ein mental erfahrbarer Rückzugsort, als notwendige Schutzzone. In vier verschiedenen Größen hat er diesen Panzer nachgebildet und unterschiedlich farbig gefasst.

In der Tradition Zentralasiens wird der Schildkröte mit ihrem Panzer eine kosmische Funktion zuteil. Ihr wird die Aufgabe als Trägerin der Welt zugeschrieben: Carapax – der lat. Begriff für Rückenpanzer.

Erinnern Sie sich an meine anfangs gestellte Frage nach dem Ausstellungstitel – the moon sleeps sailing. Der Titel stammt aus einem Haiku-Gedicht von Jack Kerouac:

Protected by the clouds, the moon sleeps sailing

Das klassische japanische Haiku gilt als kürzeste Gedichtform der Welt. Kurz, schlicht und ohne Reim.

Es besteht aus drei Sätzen,

mit fünf Silben in der ersten Zeile,

sieben in der zweiten

fünf in der dritten.

Das Haiku tauchte erstmals im 17. Jahrhundert in der japanischen Literatur auf, wurde aber erst im 19. Jahrhundert unter dem Namen Haiku bekannt. Heute werden Haiku von Autoren auf der ganzen Welt geschrieben; Jack Kerouac ist einer der bekanntesten und Beste seines Genres. Diese poetischen Wortfindungen sind für beide Javkhlan Ariunbold und Jörg Kratz Vergnügen und Inspiration zugleich.“
Annette Werntze 3. Sept. 2023