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von Bettina Boronowsky |
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Traumhaus erwacht aus dem Dornröschenschlaf
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Vom Automobil-Schuppen
zur Künstlerklause
Bald soll
neues Leben in der Paulistraße 7a einziehen
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Das Haus steht leer – noch!
Die Fensterläden sind geschlossen. Auf der Terrasse wuchert Unkraut,
vor der Haustür sammeln sich Laub und Müll. Im Park trifft sich
manchmal ich die Stadtstreicher-Szene und hält lautstark die
verärgerte Nachbarschaft auf Trab. Paulistraße 7a
- das scheint nicht gerade eine der ersten Adresse zu sein. |
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Doch für mich gehören
das weiße Häuschen am Fuße des mächtigen Pauli-Kirchturms
und sein hübscher kleiner Park zu den idyllischsten und erinnerungsreichsten
Flecken in ganz Soest. Als es noch Heim der „Stadtmaler“, Künstler-Klause
und Museum war, begegneten sich hier unge- wöhnliche Menschen.
Hier traf ich Eigenbrötler und Selbstdarsteller, Grübler, Alleinunterhalter,
Ego- zentriker und Lebenskünstler. Ich lernte gegen- sätzliche
Weltsichten kennen und war Zeuge aufschlussreicher Gespräche. |
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Und das scheint bald
wieder so zu werden Denn wie es der Zufall wollte: Während ich
diesen Aufsatz schrieb, wurde hinter den Kulissen ein neues Kapitel
für die Paulistraße 7a aufge- schlagen, und als ich die
letzten Zeilen geschrieben hatte, war dieEntscheidung gefallen:. Engagierte
Bürger wollen das Haus mit Unterstützung der Stadt aus seinem
Dornröschenschlaf wecken und es wieder zu dem machen, was es einmal
war - ein Zentrum für Kultur und Begegnung, ,, ein „Heim auf
Zeit“ für Soest- Freunde, Soest-Gäste und Soest-Forscher. |
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Einmal war der verrottete,
schmuddelige Hunde- zwinger neben der Haustür gesäubert und innen
mit weichem Fell ausgeschlagen worden – das war im Sommer 1991 zu Eva-Maria
Joeressens Zeit. Als Tina Schwichtenberg hier lebte, trat dem Besucher
gleich am Eingang eine Phalanx tönerner Weiber entgegen, die
Frauen de Formation – ein irritie- render Empfang. Die fröhliche Christiane
Schauder schilderte auf der mediterran anmutenden Terrasse mit Blick auf
Paulikirche und eine Tasse Kaffee ihren Werdegang.
Und Hilde Kaiser und ihre
vielen Gäste schwelgten im lichtdurchfluteten Wohnzimmer gern
in Erinnerungen. Jeder Raum, jeder Winkel hier ist eine Fundgrube
für Geschichten, Anekdoten und Histörchen. |
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Im Schicksal dieses
Hauses spiegelt sich ein Stück Soester Zeitgeschichte und -
aktueller denn je - Soester Kulturpolitik. Grund genug, ein biss-
chen in der Geschichte zu schürfen, um dann den Blick nach vorn zu
wagen |
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Angefangen hat alles 1910,
als der rührige Unter- nehmer Fritz Fischer den Bau eines Automobil-
schuppens in der Flur 53, auf Parzelle 276/11 zwischen Paulistraße
und Isenacker beantragte. Die Stadtverwaltung sagte zu, Fischers
Fritz durfte bauen. Und einen Monat später bekam er obendrein
die Erlaubnis, auch eine Toreinfahrt zu errichten. Das ist auf vergilbtem
Papier mit entschlossener Sütterlin-Schrift in den städtischen
Akten festgehalten.
Danach scheint sich
hier über längere Zeit nichts Wichtiges abgespielt zu haben –
jedenfalls nichts, was aktenkundig geworden wäre. |
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Erst im Oktober 1946 werden
Gebäude und Grundstück wieder erwähnt. Inzwischen haben
sich die Besitzverhältnisse geändert. Diesmal ist es die Fabrikanten-Witwe
Else Sternberg, die um die Er- laubnis bittet, die zerstörte
Garage als „Behelfsheim zu Wohnzwecken“ wieder aufzu- bauen. Während
die Stadt offensichtlich nichts dagegen hat und auch die alliierte
Verwaltung zustimmte, erheben die Nachbarn Einspruch. Franz Schneider weist
darauf hin, dass sich die Licht- verhältnisse für das Grundstück
am Isenacker 7, das ohnehin nur 126 Quadratmeter Bodenfläche habe,
stark verschlechtern. Seine vom Krieg stark betroffene Nachbarin
Frieda Schoof bittet sogar die Baupolizei einzuschreiten. |
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Tatsächlich
stellt diese fest, dass Else Sternbergs „Kleinhaus“ nicht den erforderlichen
Abstand von 2,50 Metern zum Nachbargrundstück hält, sondern
direkt auf der Grenze errichtet wurde. Als Konsequenz muss ins Dachfenster
Sichtschutzglas gesetzt werden. |
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Frieda
Schoof lässt jedoch nicht locker. Das Sternbergsche Wohnhaus
sei noch größer als die „damals außerordentlich
hochgezogene Garage.“ Die habe schon wie eine Gefängnismauer gewirkt.
„So furchtbar der Fliegerangriff wirkte, schuf er doch Erlösung aus
einer drückenden Enge“, heißt es in ihrem Brief an die
Verwaltung, der säuberlich in den Stadtarchiv-Akten abgeheftet ist. |
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Aber
die Verwaltung weist die Beschwerde - mit dem Hinweis auf die gelöste
Fensterfrage - zurück. Das Haus wird weiter gebaut, erhält
die Adresse Paulistraße 7a. Und im September 1948 scheint
die Sache erledigt zu sein. Aber es scheint nur so. |
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Anfang
der 60er-Jahre – das ehemalige „Behelfs- heim“ der Fabrikanten-Witwe Sternberg
war 1953 längst zu einem repräsentativen Wohnhaus mit (Dienst-)Mädchenzimmer
erweitert worden – meldet sich Wilhelm Schoof, Friedas Mann, zu Wort.
Soweit ersichtlich, hatte er die unmittelbare Nachkriegszeit im Süddeutschen
verbracht und war erst kurz zuvor nach Soest zurückgekehrt.
Er wolle auf seinem Grundstück wieder seinem Gewerbe nachgehen, schrieb
er an die Verwaltung. Aber sein Eigentum habe durch den Sternberg-Bau
an Wert verloren.
Erst
beklagt Schoof nur, dass er als „Gegner nazistischer Doktrin“ verfolgt
wurde und das „ungerechte Baugeschehen“ auf dem Nachbar- grundstück
nicht verhindern konnte. Später verlangt er Entschädigungen von
Else Sternberg und unterstellt ihr, die Nachbarschaft zu beobachten und
zu schikanieren. |
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Schoofs
vom Neid auf die augenscheinlich besser gestellte Inustriellen-Witwe geprägten
Briefe sind wohl als Äußerungen eines tief verbitterten Men-
schen zu sehen, der vom Krieg um sein Leben betrogen wurde und jetzt verzweifelt
nach Ge- rechtigkeit sucht. In der Nachkriegszeit dürfte so etwas
nicht selten gewesen sein.
Bei
Schoof gipfelte die Wut in der Forderung, wegen seiner Kriegsleiden von
allen finanziellen Lasten befreit zu werden. Diesen Antrag wies die Stadt-
verwaltung weiter an die Bezirksregierung in Arnsberg. Und damit
ist nichts weiter von Wilhelm Schoof zu lesen.
Auffallend
bleibt, dass sich von der Briefflut, mit der er Verwaltung und Nachbarschaft
überschüttet hatte, fast alles, von den Antworten der Gegenseite
aber fast nichts in den Akten findet. |
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1984
kauft die Stadt Soest das Haus. Warum und wieso? Darüber habe ich
lange gerätselt und viel- fach vergeblich nach Antwort gesucht.
Erst Karl Heinz Leifert, seit über 30 Jahren in Diensten der
Stadtverwaltung, kann weiterhelfen. Er erinnert sich: Damals wollte das
Kaufhaus Famila (heute Kaufland) an der B1 seine Verkaufsfläche erweitern.
Die Stadt Soest war natürlich sehr daran inte- ressiert, dem potenten
Gewerbesteuerzahler entgegenzukommen und ihm Erweiterungsfläche zur
Verfügung zu stellen. So kaufte sie das westlich an Famila angrenzende
Land auf. |
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Das
gehörte ausgerechnet den Nachfahren jener Witwe Else Sternberg, die
in der Paulistraße 7a gewohnt hatte. Und dieses Haus erwarb
die Stadt gleich mit. Zum Teil sei dies eine Bedingung für den
Verkauf gewesen, erinnert sich Leifert. Aber der Stadt sei das ganz gelegen
gekommen. Denn schon damals platzte das Stadtarchiv im „Haus zum
Spiegel“, das die Stadt in den 70ern erworben hatte, fast aus allen
Nähten. Da könnte man gut nebenan, im Gebäude an der
Paulistraße, eine Dependance einrichten, so die Überlegung. |
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Doch
es kam anders. In den 80er-Jahre erlebte Soest eine kulturelle
Blüte. Im Bewusstsein der großen Tradition der alten Börde-Metropole
inves- tierten die Stadtväter eifrig in Kunst, lobten Preise aus,
kauften wertvolle Werke. Das war damals noch problemlos möglich, die
Stadtkasse war voll, der Kulturetat prall. Und so kamen die Kulturpolitiker
Ende der 80er-Jahre auf die Idee, ein Stipendium für zeitgenössische
Kunst einzurichten. Derartiges lag in der Luft. Denn Ähnliches planten
auch andere Städte gleicher Größenordnung wie Soest. |
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Ein
Jahr lang sollte ein Künstler in der Paulistraße 7a wohnen,
sollte den Genius loci und die Tradition der „Ehrenreichen“ schöpferisch
auf sich wirken lassen und in der Stadt künstlerische Zeichen setzen.
1500 Mark Unterstützung sollte er dafür monatlich bekommen.
So wünschten sich das die Organisatoren. Darum wurden 1987 im
Erdge- schoss des Hauses einige Wände versetzt und Einbauten herausgenommen,
so dass der Ein- gangsbereich und das Wohnzimmer mit den großen
Fenstern als Atelier und Ausstellungsraum genutzt werden konnten.. |
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Im
Mai 1988 zog Gerhard Scharnhorst aus Braun- schweig als erster „Stadtmaler“
in die „Künstler- klause“ ein, wie das Haus damals launig genannt
wurde. Eine Fachjury hatte ihn aus 56 Bewerbern ausgewählt..
Seine Nachfolger wurden: Ulli Weiss (1989/90), später bekannt geworden
durch Fotos von Pina Bauschs Tanztheater; Eva-Maria Joeressen (1990/91),
heute Professorin im Fach- bereich Architektur an der FH Düsseldorf;
Christiane Schauder (1991/92), international wir- kende Malerin aus Mainz;
Matthias Alfen (1992/1993), der fast zehn Jahre später wieder in Soest
von sich reden machte, als er einen um- strittenen Brunnen für die
Fußgängerzone schuf; der Maler Matthias Kunkler (1993/1994),
der 1997 in Düsseldorf starb; der Grafiker Andreas Rosenthal
aus Münster (1994/1995), der auch nach seinem Stipendium noch Kontakt
zu Soester Kunstfreunden hielt; der Objektkünstler Andreas M. Kaufmann
(1995/1996), der sich vorrangig mit Projektionen befasste, und schließlich
nach einer Pause die Objektkünstlerin Tina Schwichtenberg (1997/1998). |
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Jeder
dieser Künstler gab der „Klause“ seine eigene Note: Fungierte das
Haus bei Scharnhorst und Weiss schlicht als Unterkunft, stellte es
Christiane Schauder ganz in den Dienst ihres persönlichen
Geschmacks. Sie verhüllte alle Möbel mit weißen Tüchern,
weil sie Weiß liebte. Bei Matthias Alfen wurden Atelier und Ausstellungsraum
zum fami- lienfreundlichen Spielplatz. Er lebte ein Jahr mit Frau und Kind
in dem Haus. Tina Schwichtenberg dagegen öffnete die „Klause“
mit ihrer Aktion „Eine Wand – ein Bild“ für befreundete Künstler
und fürs Publikum. |
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Hatte
Eva-Maria Joeressen 1990 noch gemeint, das Soester Stipendium sei in Künstlerkreisen
viel zu wenig bekannt, konnte wenige Jahre später davon keine Rede
mehr sein. Andreas Rosenthal bei- spielsweise musste sich 1994 schon gegen
fast 150 Mitbewerber durchsetzen. |
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Die
meisten Stipendiaten kamen in Soest zurecht. Sie knüpften Kontakte
in der Stadt, beteiligten sich aktiv am kulturellen Leben. Bei ihrer jeweiligen
Abschiedsausstellung hoben fast alle hervor, wie gut sie die Ruhe zum Arbeiten
gebrauchen konnten und wie viele Anregungen sie durch die Nähe zur
Soester Tradition erfahren hatten. |
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Matthias
Kunkler allerdings hatte sich während seines einjährigen Aufenthalts
in der Stadt von den Soester allein gelassen und isoliert gefühlt:
„Keiner wollte mich sehen.“ Die Kunstfreunde und Organisatoren zuckten
zusammen und schoben das schnell auf Kunklers häufige Abwesenheit.
Aber dieses Argument zog eigentlich nicht.
Tina
Schwichtenberg bewies Jahre später, dass man auch in Soest präsent
sein kann, selbst wenn man nicht persönlich anwesend ist. Die Berlinerin
schwirrte in der ganzen Welt umher, trug den Namen der Stadt Soest bis
ins japanische Kyoto, wo sie zur Klima-Konferenz ausstellte. Aber gleich-
zeitig hatte sie in Soest begeisterte Anhänger. Wenn sie hier war,
war sie’s ganz. |
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Zunächst
hatten die Ingrid-Kipper-Stiftung und der Kreiskunstverein das Stipendium
getragen. Danach sprangen Sponsoren ein. Aber die Suche nach
Geldgebern gestaltete sich zunehmend schwierig. 1998 war es endgültig
aus. Die Stadt hatte kein Geld mehr, der Kulturetat war erschöpft.
Mäzene fanden sich auch nicht mehr.
Und
so setzte Tina Schwichtenbergs große Aus- stellung, die am 21. Juni
1998 im Morgner-Haus eröffnet wurde, einen (vorläufigen) Schlusspunkt
unter das Kapitel „Stipendium“. Bis die Künstlerin dann endgültig
aus der Paulistraße auszog, brauchte es freilich noch eine Weile. |
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Dann
stand das Haus leer. Was sollte jetzt damit geschehen? |
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1999
zog Hilde Kaiser ein. Die Stadt stellte der Witwe des Künstlers Hans
Kaiser, der das kul- turelle Leben in Soest in den 60er- und 70er-Jahren
entscheidend mitgeprägt hatte, das Haus als Wohnung zur Verfügung.
Sie revanchierte sich mit mehreren Grafiken und Gemälden ihres Mannes,
die in den städtischen Kunstbesitz übergingen. |
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Dieser
„Deal“ hatte einen Hintergrund: Die Stadt Soest hatte nach
dem Krieg den Nachbarn Hamm ausgestochen, als es darum ging, den Künstler
zu sich zu holen. Kaiser und seine Familie hatten ein Zuhause in der alten
Brennerei am Westenhellweg gefunden. Jetzt sollte dieser Komplex abgerissen
werden, und natürlich fühlten sich die Stadt und ihr damaliger
Bürgermeister Peter Brüseke verpflich- tet, für die
Künstlerwitwe zu sorgen. |
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Hilde
Kaiser machte das Haus Paulistraße 7a zu einem kleinen Hans-Kaiser-Museum.
Mit Hilfe der Stadt sanierte sie das Gebäude, schaffte im Keller entsprechende
klimatechnische Bedingungen und lagerte viele Werke ihres Mannes dort.
Während der samstäglichen Öffnungszeit konnten die Besucher
Kaiser-Bilder, aber auch Arbeiten befreundeter, jüngerer Künstler
sehen. |
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Im
März 2002 starb Hilde Kaiser. Der künstlerische Nachlass Hans
Kaisers kam ins Gustav-Lübcke- Museum in Hamm, der schriftliche ging
ins Soester Stadtarchiv.
Wieder
erhob sich die Frage: Was soll mit dem Haus damit geschehen? Die Stadt
blickte in ihre leere Kasse und wusste sogleich die Antwort: Verkaufen
oder wenigstens vermieten! Das Objekt wurde ausgeschrieben. Dem Vernehmen
nach gab es potenzielle Kunden, die aber sofort einen Rück-
zieher machten, wenn sie von dem „Pferdefuß“ hörten: Das
Haus soll nämlich weiterhin künstlerischen Zwecken dienen.
Da nahmen alle Abstand vom Kauf. |
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Eins
ist klar: Ich hätte das Haus sofort gekauft, eine künstlerische
Verwendung hätte sich schon gefunden. Leider geht es mir wie der Stadt
Soest – auch meine Kasse ist chronisch leer. |
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Das
Kaufangebot besteht ohnehin nicht mehr. Demnächst soll wieder
künstlerisches Leben in das weiße Häuschen am Fuße
des mächtigen Pauli- Kirchturms einziehen. Dann erwacht
mein Traum- haus endlich aus seinem Dornröschen-Schlaf! |
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